Wednesday, April 19, 2017

Folge 95: Essen in Hongkong

Haubentaucher-Leser BG war in Asien. Essen. Sein aufrüttelnder Tatsachenbericht hier exklusiv und in voller Länge. Bitte halten Sie durch, liebe Leserschaft, zum Schluss gibt es Nachspeise aufs Haus!

Man wünschte jemanden, der sich darüber beschwert, man könne in Graz nicht authentisch chinesisch essen, in eine Hongkonger Garküche. Soll er doch dort mit Nudelsuppen mit Gänseinnereien oder was die kantonesische Küche an Besonderheiten sonst so bereit hält, fertig werden. Essen in China ist nicht immer ein Honigschlecken. Bezüglich eines längeren Urlaubsaufenthalts in der südchinesischen Weltstadt haben wir uns durch die Küchen aller Preisklassen durchgekostet, und sind dabei manchmal enttäuscht und manchmal begeistert, am häufigsten aber verwirrt gewesen. Hier ein kleiner Erlebnisbericht, der natürlich nur einen minimalen Ausschnitt der in Hongkong gebotenen Vielfalt abzubilden vermag, aber dennoch hoffentlich wenigstens schlaglichtartig Aufklärung betreiben kann. 







Dinge, die man gern frittiert.

Erstens: Hongkonger würzen wenig. 

Sojasauce? Salz? Chili? Von wegen. Die kantonesische Küche und ihre diversen Spielarten, die zum Teil auch stark von taiwanesischen Einwanderern geprägt ist, schmecken für westliche Gaumen erst einmal ziemlich fad. Die „Harmonie“ (ein schöner Euphemismus aus der Selbstbeschreibung der südchinesischen Küche) hat oberste Priorität bei der Zubereitung der Speisen. Möglichst wenig soll vom Eigengeschmack des Produkts ablenken. Eine Ansicht, die sich ja auch in den besten Lokalen Europas langsam wieder durchsetzt – nach Jahren aufwändiger und immer abwegigerer Kreationen. Das Problem des westlich gebildeten Gaumens ist eher, WAS da in den Mittelpunkt gestellt wird. Huhn, das extrem nach Huhn, aber sonst wirklich nach nichts schmeckt, mag noch angehen. Aber schon die Ente wird zur Belastungprobe für den nach einer Würzsauce gierenden Europäer.





Hunde in der chinesischen Gastronomie. Nicht das, was Sie denken...








Zweitens: Die Konsistenz ist ebenso wichtig wie der Geschmack. 

In Österreich, wo Saucen nachrangig sind, wo eine vergleichsweise trockene Küche dominiert, undenkbar: Weiche Konsistenzen, glibbrige Suppen und Fleisch mit fast schmelzendem Fett beherrschen den Menüplan. Selbst so harmlos klingende Gerichte wie eine Suppe mit Udon-Nudeln und Brisket wird wegen des hohen Fettanteils im Fleisch zur Herausforderung. Vieles von dem, was dem Hongkonger lieb und teuer ist, wird wegen der Konsistenz so hoch gehandelt. Etwa die Schwalbennester oder die Fisch-Schwimmblasen, die im Nordwesten von Hongkong Island in hunderten Geschäften feilgeboten werden. 






Lustige Dumplings sind sehr angesagt. Man isst ja auch (mit den) Augen.










Drittens: Manches ist einfach nur verrückt. 

Fader, glitschiger Maisbrei, der in rauen Mengen über gebackenen Fisch geleert wird. Kaltes, gelbes Huhn voller Knochen und Innereien, das schon technisch kaum zu essen ist, völlig neutral schmeckende Dumplings, die man sich zum Frühstück gönnt. Wie aus Molke wirkende weißliche Suppen, in denen Fischstücke schwimmen. So manch gefürchteter Klassiker überrascht dagegen positiv: Ein 1000jähriges Ei sieht zwar furchterregend aus, ist aber geruchlos und schmeckt einfach wie ein hartgekochtes Ei. 






Nikkei-Küche. Lachs-Ceviche mit Tigermilk aus Passionsfrucht










Viertens: In Hongkong lässt es sich grandios essen. 

Etwa beim Japaner. Die Sushi-Bars (wie das Mikasaya in Tsim Sha Tsui) haben Weltniveau, der Fisch (etwa fetter Tunfischbauch) ist Bissen für Bissen himmlisch, selbst der Eistich schmeckt dort nach etwas und sogar eine Misosuppe ist hier eine kräftige Brühe mit Meeres-Note. Auch einer der großen Food-Trends ist in Hongkong angekommen. Die Nikkei-Küche, eine Fusion aus japanischem und peruanischem Essen, macht Lokale wie das Tokyolima im hippen Stadtteil Soho zum Erlebnis. Die Ceviche-Suschi-Kombinationen genießt man am besten im Omakase Menu – für umgerechnet knapp über 60 Euro fährt der Küchenchef so lange Köstlichkeiten auf, bis man aufgibt. Man gibt irgendwann aus Anstand auf, nicht weil man schon droht zu platzen, einfach weil man immer weiteressen möchte. Etwa einen Salat mit drei Texturen (pochiertes Wachtelei, Confit aus Ur-Paradeiser, Kürbis, gegrillter Fenchel, Mandeln und knusprig frittierte Glasnudeln), ein Lachs-Ceviche „gegart“ mit Tigermilch aus Passionsfrucht, Gegrillten Portobellopilzen und Melanzani mit Miso-Mayonaise, knusprig panierten Hendl mit sämiger Sojasauce usw.





Dorsch, Iberico-Schinken, Matsutake-Pilz, getrocknete Mandarinenschale










Fünftens: Verständnishilfe für Kantonesische Küche kann ins Geld gehen, öffnet aber Magen, Herz und Hirn fürs Regionale. 

So passiert bei Bo Innovation in Hongkong-Central. Alvin Leung, der sich gerne als superhipper Extremist und „Demon Chef“ der chinesischen Küche inszeniert, vollbringt in seinem 3-Sterne-Tempel wahre Wunderdinge. Leung nimmt in seinem passenderweise als „Hong Kong Story“ bezeichneten Menü Klassiker der regionalen Küche und dreht sie auf links. Für einen nicht vor Ort aufgewachsenen Menschen ist die Genialität seiner Variationen zwar schwerer zu würdigen, aber er beschert auch mäßig Vorgebildeten Aha-Erlebnisse. Etwa wenn er die typisch geschmacksfreien Dumplings mit marinierter Foie Gras kombiniert, und das Brotartige der Knödel genial zum von frischen Apfel gepushten Fleisch komponiert. Wenn er in seiner „Hühnerschüssel“ das Huhn samt kross ausfrittiertem Hahnenkamm und geheimnisvoll intensiv nach Huhn schmeckendem Risotto in den Mittelpunkt einer vielschichtigen Geschmacksexplosion stellt, und dazu die superexklusive Abalone hinzufügt, mild schmeckende Meerschnecken - letztlich eine Kombination, die ein wunderbares Spiel von Texturen ergibt. Leungs Reise in die zukunftsträchtige Vergangenheit spiegelt sich auch im Geschirr. Der Nachtisch wird in den typischen kleinen Clochen serviert, die auch im legendären Jumbo Floating Restaurant in Aberdeen (im Süden von Hongkong Island) verwendet werden. Dazu stellt er alte Fotos und Artefakte der Popkultur aus seiner Jugend stellt er im Lokal aus – um die intellektuelle und sinnliche Dimension seines Hymnus an die lokale Küche eine zusätzliche Dimension zu erschließen. Essen ist hier das kulturells Produkt einer Region, herzerwärmend individuell und technisch exzeptionell. 




Fermentierte chinesische Oliven „lam kok“ mit Tomate und Füllung aus grüner Tomate











So geht Weltküche heute.


Reisebericht und Fotos: © BG 2017

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